Altensteiger Vokalensemble

Frieden hören II - Frieden hören und von Gewalt singen?

Kann man den Frieden hörbar machen wollen und gleichzeitig von Gottes Gewalt singen? Das Altensteiger Vokalensemble will diesen Frieden in Werken unterschiedlichster Epochen und Vertonungen erfahrbar machen und sich dabei an eine Vorstellung von Frieden annähern, die über die der bloßen Abwesenheit von Krieg hinausgeht.

Frieden meint und intendiert nach der Auffassung der Zeugen des Alten und Neuen Testaments auch das Shalom, das Heil der Gemeinschaft, das sich an den Geringsten und Ausgestoßenen orientiert und diese integriert.

Das Magnificat, der neutestamentliche Lobgesang der Maria in der Vertonung von Heinrich Schützen macht dies unter anderem deutlich: Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilands. Denn er hat die Niedrigkeit eines Menschen angesehen. Gott erhebt den niedrigen Menschen und mit ihm die sich erhebende Musik Schützens. Alle sollen die Möglichkeit haben ein würdiges Leben zu führen.

Wie vertragen sich die Friedfertigkeit Gottes einerseits und Gottes gewalttätiges Wirken andererseits? Das eben erwähnte Magnificat treibt diesen scheinbaren Widerspruch unverhohlen weiter. Musik und Text machen rhythmisch - perkussiv  unmissverständlich klar, dass Gott Gewalt übt mit seinem heiligen Arm (vgl. Lk. 1, 56). In anderer und doch ähnlicher Weise schmettert es in Schützens Verleih uns Frieden:  „Es ist ja doch kein anderer nicht, der für uns könnte streiten, ...“. Darf es nicht wundern, wenn die Zeugen biblischer Texte offen von Gewalt, Rache, einem streitenden Gott reden? Meinem Verständnis nach nicht. Denn sie implizieren keinen gewalttätigen Gott, jedoch einen Gott, der für die unter Unrecht und Gewalt leidenden, Partei ergreift. Sie hoffen und glauben das Engagement Gottes für seine Schöpfung, für das Heil, das Shalom, den Frieden der menschlichen Gemeinschaft.
Hier melden sich Stimmen zu Wort, die Katastrophen erlebt haben und aus diesen Erfahrungen heraus ihre Gotteserfahrung artikulieren: Gott bricht mit der Macht der Mächtigen. „Er stößet die Gewaltigen vom Stuhl“ mit dem Ziel die Niedrigen zu erhöhen, die Hungrigen mit Gütern zu füllen.  Dahinter steckt meines Erachtens jedoch weder die Legitimation von Gewalt noch die Auffassung, dass dieser Gott seinem Wesen nach gewalttätig ist. Vielmehr artikuliert sich hier eine tiefe Hoffnungsdimension der Menschen.

In der Begrenzung der Macht der Mächtigen liegt die Hoffnung auf den Triumph der machtlosen Minderheit. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Gerechtigkeit Gottes, der zornig wird über das Fehlen der Gerechtigkeit, die dem Bedürftigen das gibt, was er zum Leben braucht.

Denn das Wesen Gottes ist Liebe, Barmherzigkeit und Treue. „Er denket der Barmherzigkeit und hilft Menschen auf.“ (Lk. 1, 54)

Die Bilder eines Gewalt übenden Gott wollen zum einen wachrütteln, wollen eine Verhaltensveränderung bzw. eine Änderung der Verhältnisse herbeiführen, erteilen aber auch jeder religiös motivierten und legitimierten Gewalt eine Absage.
Das Wesen gleich welcher Weltreligion ist Liebe und Friede. Daran erinnern die Worte aus dem Johannesevangelium in Nysteds Peace und in den abschließenden Werken Mendelssohns.
Nysteds Vertonungen der Verse aus dem Johannesevangelium machen deutlich, dass Frieden als eine Gabe Gottes verstanden werden darf. Er ist eine von Gott ausgehende heilende Macht. „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh. 14,27)

Im biblischen Kontext verbinden sich nicht selten Gabe Gottes mit einem Aufruf, der an den Menschen ergeht. Evangelium ist Zuspruch und Anspruch zugleich, so Prof. Hans Joachim Eckstein (Tübingen). Der Anspruch artikuliert sich beispielsweise in den bewegenden Worten des Franz von Assisi „Oh Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens“. In ihrer inhaltlichen Bedeutungstiefe wie in ihrer musikalischen Umsetzung durch Kurt Hessenberg im Jahre 1946 liegt sicherlich der Grund für die Beliebtheit des Werkes. Sehr eindrucksvoll ist die antiphonal gestaltete Umsetzung der im Text enthaltenen Gegensätzlichkeit (bspw. „dass ich liebe übe“, „dass ich verzeihe“ - „da, wo man sich hasset“, „da, wo man sich beleidigt“).  
Assisis Worte in der Vertonung von Kurt Hessenberg, wollen den möglichen Eigenbeitrag herausstellen. Shalom ist Gabe aber auch Aufruf an den Menschen Verantwortung für den „Frieden“ zu tragen.

Zu einzelnen Komponisten

  • Kurt Hessenberg (1908 – 1994) gehört zu den Vertretern der protestantischen Kirchenmusik im 20. Jh.  Er wurde in Frankfurt geboren, studierte in Leipzig, wo Rudolf Mauersberger wirkte, der den namhaften Dresdner Kreuzchor leitete. 1953 wurde Hessenberg Professor für Komposition an der Frankfurter Musikhochschule, an der er bis zu seiner Pensionierung 1973 unterrichtete.
    Der am 03. 09. 1919 in Oslo geborene  norwegische Komponist Nysted vertont jene Worte in seiner ihm eigenen farbenreichen und nuancierten Tonsprache. Als Komponist für Chor- und Vokalmusik hat sich Knut Nysted einen großen Namen gemacht. Die meisten seiner Kompositionen hat Nysted in Oslo mit dem Philharmonic Orchestra und seinem eigenen Chor uraufgeführt. Er schrieb bislang über 164 Kompositionen und ich freue mich, dass zwei seiner Kompositionen Teil des Programms sein können, das Sie hören.
  • Arvo Pärt ist 1908 in Estland geboren. In der damaligen Sowjetunion hatte er aufgrund seiner dissonanzreichen Frühwerke als „gefährlicher Komponist“ gegolten. Nach einer Phase des Experimentierens zog er sich in jahrelanges Schweigen zurück. Im Anschluss an diese schöpferische Pause wandelte sich seine Musik völlig. Sie ging sorgsam mit wenigen Tönen um, war harmonisch gegründet und von tiefem religiösen Gefühl erfüllt, so auch das 1989 entstandene Magnificat.

Text: W. Weible